Prokjekte 2011
Projekte des Zentrums für Psychotraumatologie Kassel 2011
Unser Antrag 2011 für die Stiftung / für die Website von Horst Richter
Ein leider typisches Beispiel:
Klara, 24 Jahre, Lehramtsstudentin aus gutbürgerlichen Haus, hat schon von Kind an starke Kopfschmerzen, manchmal starke Selbsttötungsimpulse, hört seit einigen Jahren innere Stimmen weinen, schimpfen sowie ihr Tun kommentieren und hat Zeitverluste über Stunden im Alltag. Sie versucht das alles recht erfolgreich in ihrem Umfeld zu verbergen, gilt als schlau und sehr wachsam. Sie ist einmal nur knapp einer Psychiatrieeinweisung entgangen. Da stand die Diagnose Schizophrenie im Raum. Sie hat sich genau belesen und weiß, dass sie nicht schizophren ist. Manchmal findet sie Kinderspielzeug in ihrer Studentenbude, das sie nicht gekauft hat. Das versucht sie gleich wieder zu vergessen. Seit einem Jahr kommen Stummszenen wie alte Horrorfilme in ihrem Inneren hoch. In diesen Szenen werden kleine Kinder, auch sie selbst, gequält und vergewaltigt; in manchen filmt jemand dieses Grauen. Die Erwachsenen tragen Masken, die Kinder sind nackt. Sowohl ihre Mutter als auch ihr Großvater kommen als Täter vor. Sie fühlt nichts dazu außer unklarer Panik und fragt sich, wo sie diese perverse Fantasie her hat. Gruselfilme verabscheut sie. Ihr Vater hat ihr früher oft vorgeworfen, dass sie lüge, wenn sie den Mund auftue. Sie hat große Angst, davon zu erzählen und will nicht als verrückt abgestempelt werden. Sie möchte doch Lehrerin werden. Eine Mitstudentin, der sie einiges angedeutet hatte, hat sie gefragt, ob sie „so eine irre Multiple“ sei. Sie hat natürlich verneint. Aber es könnte sein, hat eine Stimme innen gesagt. Ist sie geisteskrank oder behindert? Wo soll sie mit diesem Dilemma hin? Sie braucht eine vertrauensvolle Person, die ihr das Desaster im Innern zu klären hilft. In Kassel gab es wohl früher eine sehr gute Beratungsstelle, die durch Fördergeldermangel schließen musste. Sie hat bei der Studentenberatung gefragt und gehört, dass Therapieplätze für so „schwierige Fälle“ rar sind und die Wartezeiten lang sind. Soll sie in eine Klinik? In welche denn? Einen Hausarzt hat sie aus Angst nicht. Vielleicht sollte sie lieber weiter schweigen und alles überspielen!
Selbstvorstellung des TZ:
Seit 11 Jahren existiert in Kassel das Zentrum für Psychotraumatologie als gemeinnütziger Verein. Unser Anliegen ist die schnelle und kompetente Bereitstellung von Wissen und Unterstützung für akut und chronisch traumatisierte Menschen und deren Umfeld. Viele der Anfragenden haben frühe und langjährige Gewalt in den vielfältigen Formen erlebt und leiden bis heute unter vielfältigen Folgestörungen. Viele haben posttraumatische Störungen und einige starke Dissoziative Störungen entwickeln müssen, um das Erlebte zu überstehen.
Wir erhalten keine öffentlichen Gelder und sind dadurch unabhängig von der regionalen Haushaltsplanung. Unsere vielfältigen Beratungs- und Fortbildungsangebote finanzieren wir teils über ehrenamtliches Engagement, zu einem Teil über Spenden und vor allem durch unsere Fortbildungen, deren Einnahmen zu einem großen Teil in die wöchentlichen telefonischen und persönlichen Orientierungsberatungen fließen. Die Qualität unserer Angebote ist uns sehr wichtig. Unsere Mitarbeiterinnen sind alle psychotraumatologisch ausgebildet. Unser Vorstand arbeitet seit Jahren im Erwerbsberuf mit traumatherapeutischem Fokus.
Am 3. Mittwochabend im Monat findet ein offener Vortrag zum Themenbereich Trauma statt. Wöchentlich findet in einer festen Gruppe ein Stabilisierungstraining für chronisch traumatisierte Frauen statt. Nach Bedarf gibt es eine gemischtgeschlechtliche Gruppe. In Kassel und Hamburg finden regelmäßig Jahresfortbildungen zur „FachberaterIn Psychotraumatologie“ statt als Folge der vielen Anfragen von verunsicherten KollegInnen aus der ganzen Palette der Berufe, die mit traumatisierten Kindern und Erwachsenen zutun haben und sich Handwerkszeug wünschen. Wir vernetzen uns regelmäßig regional mit anderen Einrichtungen und überregional zu spezifischen Themen ( Trauma + Sucht, Rituelle Gewalt, Mutnetz).
Unsere aktuellen Angebote und Termine sowie Adresse sind unter www.traumazentrum-kassel.de zu finden.
Wir würden gerne unsere Angebote erweitern, denn Bedarf und Anfragen gibt es reichlich. ZIELE haben wir VIELE: Tägliche Telefonberatungszeiten wären sinnvoll. Wir würden gerne eine Mitarbeiterin für die gesellschaftspolitisch wichtige Öffentlichkeitsarbeit einstellen, die uns in der täglichen Praxis zu kurz kommt. Eine sichere Weglaufwohnung wäre von Nutzen. Wir möchten einen niederschwelligen Junge Leute- Treff anbieten. Hierfür reichen unsere selbsterarbeiteten Mittel nicht aus. Die personellen Kapazitäten haben wir glücklicherweise zur Verfügung.
Aber zurück zu den konkreten Angeboten, die für Klara sinnvoll wären und für die wir uns finanzielle Unterstützung wünschen:
Projekt A: einen Topf für die längerfristige Beratung und Begleitung von Menschen mit einer Dissoziativen Identitätsstörung (DIS), die extreme frühkindliche Gewalt und oft gezielte Aufspaltungen ihrer Persönlichkeit erlebt haben und teils bedrohliche Ausstiege aus organisierten Gewaltstrukturen (Kinderpornoringe, Zwangsprostitution, satanistische / faschistische Kulte) bewältigen müssen. In der Phase der Selbstentdeckung geraten diese meist jungen Frauen verständlicherweise in Panik, viele entwickeln verstärkt Selbsttötungsimpulse. Es gibt im Umfeld von Kassel leider keine fachspezifische Anlaufstelle. In unserem Team kennen sich einige Mitarbeiterinnen gut mit dieser komplexen Materie aus. Leider reicht unser Budget nur für drei Orientierungsberatungen, die hier ein Tropfen auf dem heißen Stein sind.
Diese Menschen brauchen zuallererst, dass ihnen das Unglaublich scheinende Ausmaß der systematischen Gewalt geglaubt wird. Viele haben leider die Erfahrung gemacht, dass man ihnen aus der Abwehr des eigenen Entsetzens nicht zuhören wollte oder sie als psychotisch etikettiert hat.
Und sie brauchen kompetente, verständliche Informationen zu typischen Problemen auf ihrem Weg (Erinnerungslücken, Flashbacks, Wechsel der Persönlichkeit, Schweigegebote, Risiko der Außenbedrohung durch die Tätergruppe, Verunsicherung durch den Bindungsverlust zur Familie).
Sie brauchen weiterhin Beratung, um das dissoziative Innen-System selbst kennen- und steuern zu lernen. Hin und wieder brauchen sie zur Lebensabsicherung kurzfristig einen anonymen Unterschlupf. Wir würden gerne mit nach dem passenden Therapieplatz suchen, weitere begleitende Unterstützung klären, Unterlagen zur Lebensabsicherung hinterlegen und bei Bedarf Wohnortwechsel und einen sicheren Polizeikontakt vorbereiten.
Projekt B: Zu einem späteren Zeitpunkt in ihrem Leben kommt für Klara die Teilnahme an unserer laufenden angeleiteten DIS-Selbsthilfegruppe in Frage. Im Raum Nordhessen/ Südniedersachsen ist es das einzige Angebot dieser Art. Die Treffen finden 14tägig statt und werden von einer erfahrenen Sozialpädagogin begleitet.
Menschen mit einer DIS haben in aller Regel seit frühester Kindheit extreme Gewalt und Vernachlässigung erlebt - seelisch und körperlich. Die Aufspaltung in verschiedene Persönlichkeitsanteile ist der Versuch, diese Schrecken zu überleben. Oft haben Erwachsene diese Aufspaltungen unter Folter gezielt gefördert, weil diese Kinder leichter zu benutzen sind für ihre perversen Neigungen. So bildet sich eine Persönlichkeitsstruktur heraus, die aus verschiedenen autonom agierenden Anteilen besteht. Diese Anteile haben unterschiedliche Funktionen. Die Persönlichkeitsanteile unterscheiden sich demnach durch verschiedene Interessen, Bedürfnisse, Wesenszüge , Fähigkeiten u.a.. Die beschriebene Aufspaltung hat auch nach Beendigung der Gewalterfahrungen Bestand und wird oft erst im jungen Erwachsenenalter langsam bewußt.
Aus dieser Persönlichkeitsstruktur heraus entstehen besondere Bedarfe an Bewältigungsstrategien für den Alltag unter dem Titel: Wie lässt sich mit vielen Persönlichkeitsanteilen in einem Körper ein Leben gut und lebenswert organisieren?
Die Selbsthilfe -Gruppe bietet einen Raum, sich auszutauschen, sich gegenseitig zu unterstützen, Zeit miteinander zu verbringen mit dem Ziel einer gesteigerten Alltagsbewältigung. Die Gruppe soll Menschen mit einer DIS die Möglichkeit geben, in einem möglichst selbstbestimmten Rahmen ihre Potentiale zur Selbsthilfe zu entdecken und zu erweitern. Die Inhalte der Treffen und den Gruppenprozess gestalten die Teilnehmenden verantwortlich selbst. Die Mitarbeiterin beschränkt sich auf eine begleitende, unterstützende Rolle; sie steht zur Verfügung für Kriseninterventionen und zur Unterstützung bei Konflikten. Außerhalb der Treffen steht sie als Ansprechpartnerin für Aspekte, die sich auf die Gruppe beziehen, zur Verfügung.
Projekte des Sozialdienstes katholischer Frauen Paderborn 2011
Fallbespiele - Antrag auf Förderung durch die Horst-Richter-Stiftung
1. Sandra X.
Sandra ist betroffen von sexuellem Missbrauch über mehrere Monate durch einen guten Bekannten der Familie. Sie leidet zudem daran, dass sie mehrfach über ihre belastenden Erfahrungen berichten und auch eine Aussage bei der Polizei machen musste.
In ihre Vergangenheit gab es auch schon sexuelle Übergriffe, die sie bereits durch einen Klassenkameraden erlitten hatte und die unverarbeitet geblieben waren. Dieses Trauma wurde erneut aktiviert
In Folge dieser mehrfachen sexuellen Gewalterfahrungen leidet das Mädchen unter wachsenden großen Ängsten: sie wagt nicht mehr, alleine draußen zu spielen oder zur Schule zu gehen, sie braucht Begleitung zur Toilette, schläft nicht mehr alleine in ihrem Zimmer, klammert sich an ihre Mutter.
2. Manuela Z:
Infolge von mehrfachem sexuellen Missbrauch über einen längeren Zeitraum durch den Vater eines Klassenkameraden, mit dem sie häufig spielte, braucht auch dieses Mädchen dringend therapeutische Unterstützung.
Zusätzlich zu ihren eigenen Missbrauchserfahrungen übernahm sie die Verantwortung und den Trost für ihre jüngere Freundin, die ebenfalls vom gleichen Täter missbraucht wurde. Um diese Freundin zu schützen, konnte das Mädchen deren und schließlich auch die eigenen Gewalterfahrungen offenbaren.
Sie leidet unter allgemeiner Überängstlichkeit und unter Kontrollzwängen. So muss sie jeden Abend unter ihr Bett schauen und das gesamte Zimmer überprüfen, da sonst ihre Ängste vor erneuter Gewalterfahrung sie völlig destabilisieren. Als weitere Symptome zeigen sich Einschlafstörungen, Alpträume, große innere und äußere Unruhe- und Spannungszustände sowie die zunehmende Identifizierung mit der Opferrolle durch ihre derzeitige Unfähigkeit sich abzugrenzen, wenn sie sich bedrängt fühlt.
Beiden Mädchen kann im Rahmen der Traumaberatung ein kurzfristiges, unterstützendes Angebot durch das Projekt des Sozialdienstes kath. Frauen e.V. Paderborn gemacht werden.
1. Die Beratungsstelle Belladonna hält ein begrenztes Angebot (5 Plätze) an Therapieplätzen für Kinder vor, die sexuelle Gewalt erlebt haben. Diese Plätze werden allein durch Spenden finanziert.
Grundlage der Beratung mit den betroffenen Kindern oder Jugendlichen ist das Ressourcenorientierte Verfahren der „Integrativen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie“. Es ist ein tiefenpsychologisch fundiertes, methoden-übergreifendes Verfahren, in dem neben dem Einsatz kreativer Medien Elemente der Gestalt-, der Spiel-, Gesprächs-, der Bewegungs- und der Verhaltenstherapie einfließen.
Während der ersten Therapiestunden mit dem Kind steht der Aufbau einer tragfähigen, vertrauensvollen therapeutischen Beziehung im Vordergrund. Es werden Bedingungen hergestellt, in denen sich das Kind im Blick des anderen erfahren und erkennen kann. Der freundlich ausgestattete Therapieraum mit einer entspannten, wohltuenden Atmosphäre bietet dem Kind oder Jugendlichen einen geschützten Rahmen, in dem eine große Auswahl an Spielmaterialien für Rollenspiele, Symbolspiele und Ausdrucksspiele zur Verfügung steht. Das Kind kann Bilder und Sprache finden, die einen symbolischen Austragungsort für die traumatischen Erfahrungen bieten, und so eine Bewältigungsstrategie ermöglichen. Im gemeinsamen Spiel und kreativem Tun wird ein Übergangsraum geschaffen zwischen Realität und Phantasie, zwischen Therapeutin und Kind, in dem innere Vorgänge und Zustände bebildert, sprachlich erfasst und ausgedrückt werden können. Zur Stabilisierung werden entspannende Körperübungen, Phantasiereisen und Imaginationsübungen durchgeführt. Diese stärkenden Übungen helfen den Betroffenen, mit den schwierigen Gefühlen und Erinnerungen umzugehen.
Projektförderung: Fachtag am 26. November 2011
Veranstalter: SkF Paderborn e.V.
Zielgruppe: Pflege- und Adoptiveltern, sowie Fachkräfte
Referentin: Renate Preising, Dipl. – Heilpädagogin, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin
Thema: „Vorgeburtliche Erfahrungen von Kindern und deren Auswirkungen in Pflege- und Adoptivfamilien“
Das Bild von den Anfängen menschlicher Entwicklung hat sich in den letzen Jahren sehr stark gewandelt. Früher wurden Säuglinge als weitgehend empfindungslose Reflexbündel betrachtet, entsprechend der neueren Sicht liegt die Betonung auf Eigenständigkeit (der „kompetente Säugling“). Man weiß heute sehr viel über die Eigenregulation und das Selbsterlebens des Kindes. Hilfreich waren in diesem Zusammenhang die technischen Hilfsmittel, vor allem die bildgebenden Verfahren. Es entstand objektives Wissen im Gegensatz zu den früheren, eher intuitiven Einsichten.
Schon immer wurde empfohlen, dass sich werdende Mütter vor unguten Eindrücken fernhalten sollten. Heute kann auch auf physiologischer Ebene sehr genau erfasst und gemessen werden, was Stress für das werdende Leben bedeutet. Es gibt Nachweise für die somatische Vermittlung mütterlichen Stresses durch Stresshormone, die plazentagängig sind. Die Folgen sind z.B. eine erhöhte Pulsfrequenz, Ängstlichkeit, Krankheitsanfälligkeit. Lebensgeschichtliche Auswirkungen vorgeburtlicher Traumata sind heute im Bereich der Entwicklungspsychologie der Pränatalzeit ein hochaktuelles Thema.
Erfahrungen im Mutterleib (größere Belastungen der Mutter, seelische Verstimmungen oder ganz konkrete körperliche Angriffe) werden als Grunderfahrung von Welt und sich selbst gespeichert, Urvertrauen oder Urmisstrauen bildet sich also schon vor der Geburt aus. Insbesondere Ungewolltsein kann das spätere Lebensgefühl trüben und die Wahrnehmung pos. Lebensmöglichkeiten einschränken.
Im kindlichen Spiel der Pflege- und Adoptivkinder können Inszenierungen der frühesten Erfahrungen beobachtet werden. Allein die Herstellung des Zusammenhanges z.B. in der Therapie kann eine destruktive Verwirrung aufheben und einen beträchtlichen heilsamen Effekt haben. Auch kann es Pflegeeltern darin unterstützen und es erleichtern, schwierige Zeiten eines Kindes mitzutragen und ihm bei der Verarbeitung der Belastungen der vorgeburtlichen Zeit zu helfen. Sehr hilfreich ist das Wissen über die Auswirkungen von vorgeburtlichen Erfahrungen. In diesem Zusammenhang steht der geplante Fachtag.